

- Es gilt das gesprochene Wort.-
Sehr geehrter Herr Gouverneur,
sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
sehr geehrter Herr Botschafter,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
Exzellenz,
sehr geehrte Vertreter des diplomatischen und konsularischen Corps,
sehr geehrte Bürgermeister und Oberbürgermeister,
sehr geehrte Mitglieder des Gemeinderates,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
Wir sind heute hier in Ysselsteyn versammelt, um den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft zu gedenken.
Es ist genau 100 Jahre her, dass der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge zum ersten Mal den Vorschlag machte, jenen Gedenktag einzuführen, den wir heute als Volkstrauertag kennen und der uns hier zusammenführt. In diesem Jahr erinnern wir dabei zugleich an das Ende des Zweiten Weltkrieges hier im Westen Europas vor 75 Jahren. Wir trauern um die unfassbar vielen Todesopfer, die dieser und viele andere Kriege gekostet haben.
„Wer an Europa zweifelt, wer an Europa ver-zweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen.“
Dieser wahre Satz stammt aus einer Rede von Jean-Claude Juncker, dem jüngst aus dem Amt geschiedenen Präsidenten der Europäischen Kommission. Juncker führte weiter aus, dass in jeder Stunde des Zweiten Weltkrieges im Schnitt 1.045 Menschen getötet wurden – in jeder einzelnen Stunde zwischen September 1939 und Mai 1945. Das heißt: Es dauerte rechnerisch gerade einmal einen vollen Tag und eine Nacht im Laufe dieses Krieges, um diesen großen Friedhof mit seinen fast 32.000 Gräbern zu füllen. Wir bekennen uns als Deutsche zu der Verantwortung für diesen Weltkrieg, für die unaussprechliche Grausamkeit und das unermessliche Leid, das den Menschen durch diesen Krieg zugefügt worden ist.
Aber wir wollen die Worte von Jean-Claude Juncker auch umgekehrt lesen und damit erkennen, dass Europa, dass der europäische Einigungsprozess die praktische Antwort auf das Gebot von 1945 war, nämlich, dass es einen solchen Krieg „nie wieder!“ geben dürfe. Orte wie dieser erinnern uns daran, dass die Europäische Union wirklich ein Friedensprojekt – nein: das Friedensprojekt für Europa war, ist und bleibt. 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und nach mittlerweile 105 Jahren seit dem Beginn des Ersten Weltkrieges ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, wie wir die Erinnerung an den Krieg und die Lehren aus der Kriegserfahrung an die kommenden Generationen weitergeben. Auch dann, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt, die uns davon erzählen. Nach meiner Ansicht sind dafür zumindest zwei Dinge nötig: Die erste Voraussetzung ist ganz einfach:
Wir müssen Raum und Gelegenheit schaffen, damit sich junge Menschen mit dieser Vergangenheit auseinandersetzen können.
Das Interesse dafür ist durchaus vorhanden. Davon zeugt die ungebrochen große Nachfrage von Schüler- und Jugendgruppen, die diese Kriegsgräberstätte jedes Jahr besuchen. Es freut mich daher außerordentlich, dass das Besuchszentrum von Ysselsteyn nun ausgebaut wird und hier damit buchstäblich mehr Raum für junge Menschen entsteht. Bereitgestellt wurde diese Investition zu je einem Drittel von der Provinz Limburg mit der Gemeinde Venray, vom Niederländischen Fonds für Frieden, Freiheit und Veteranenpflege und von der Bundesrepublik Deutschland. Ich möchte im Namen der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen allen herzlich danken, die dieses Projekt ermöglicht haben. Dass der Neubau des Begegnungszentrums eine niederländisch-deutsche Koproduktion ist, zeigt schon die zweite Voraussetzung, auf die es ankommt:
Wir brauchen Gemeinsamkeit. Eine gemeinsame Werteorientierung im Blick zurück und im Blick nach vorn.
Das Erinnern an das schreckliche Geschehen bleibt dabei wichtig, kein Zweifel. Aber mit zunehmendem zeitlichen Abstand sollten nach meiner Überzeugung immer mehr die Lehren in den Vordergrund treten, die wir aus der Kriegserfahrung für die Zukunft ziehen, die Lehren, die langfristig bedeutsam bleiben, die gleichsam universellen Lehren von Krieg und Gewaltherrschaft. Nicht mehr nur: was war, sondern vor allem: was bleibt.
Was das praktisch bedeuten kann, haben unsere niederländischen Freunde bereits vorgemacht. Sie haben eine kleine, aber entscheidende Akzentverschiebung in ihrer Gedenkkultur vorgenommen.
Viele Jahrzehnte wurde in erster Linie der „Befreiung“ der Niederlande von der deutschen, nationalsozialistischen Okkupation gedacht.
Das aktuelle Motto aber lautet nicht „Befreiung“, sondern: „75 Jahre Freiheit“. Damit rückt der Fokus des Gedenkens ein wenig weg vom militärischen Lauf der Dinge und ein wenig mehr hin zu ihrem wichtigsten Ergebnis – nämlich: Freiheit.
Die Freiheit, die wir alle, Niederländer wie Deutsche, im Ergebnis des Krieges gewonnen haben.
Die Freiheit, die unser gemeinsames Fundament im Prozess der europäischen Einigung nach 1945 geworden ist.
Die Freiheit, die bleibt, auch wenn viele derjenigen, die sie erkämpft haben, nicht mehr unter uns sind.
Die Freiheit, die uns Grund gibt, gemeinsam zu feiern.
Die Freiheit, die wir uns nie mehr wieder nehmen lassen dürfen.
Vielen Dank.
- Es gilt das gesprochene Wort.-
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