
Liken, teilen, twittern – Wie gut kann Politik Social Media?
YouTube-Event zu politischer Kommunikation
„Wie gut kann Politik Social Media?“ – mit dieser Frage beschäftigte sich ein YouTube-Event der nordrhein-westfälischen Landesvertretung in Berlin. Politik-Profis und Medienschaffende diskutierten auf Einladung von Staatssekretär Dr. Mark Speich über Wahlkampf im Internet, die Effekte von Online-Diskursen und Generationsunterschiede im Netz.
„Ihr erschreckt Euch vor Euren eigenen Kindern, weil sie Eingeborene einer Welt sind, in der Ihr stets Einwanderer bleiben werdet“, zitierte Staatssekretär Speich in seiner Begrüßung aus der „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“ 1996. Gleichzeitig sei das Internet aber auch eine Welt, die allen offenstehe – ohne Bevorzugung oder Benachteiligung Einzelner: Die, die in der Gesellschaft keine Stimme haben, könnten sich im Netz Gehör verschaffen. Mit Blick auf die zunehmende Bedeutung der sozialen Netzwerke steigt aber auch ihre politische Polarisierung – Unsachlichkeiten und Beleidigungen nehmen zu. In vielen Diskursen überlagern extremistische Hetze und Hasskriminalität den demokratischen Gedankenaustausch. Auch gezielte Desinformationskampagnen und professionelle Cyberkriminalität fordern die Demokratie 4.0 heraus. Angesichts solcher Probleme fragte Speich seine Gäste: „Wie kann die Freiheit im Netz bewahrt werden?“
Einen Abend nach dem Ausfall der Plattformen Facebook, WhatsApp und Instagram und wenige Tage nach der Bundestagswahl sei ein guter Zeitpunkt, solche Fragen zu diskutieren, fand auch Dr. Anna Grebe. Die promovierte Medienwissenschaftlerin moderierte den Diskussionsabend und brachte dabei auch immer wieder ihre Expertise aus Medienwelt und Jugend-Verbandsarbeit mit ein.
Beobachtungen zum Online-Wahlkampf
Der Blogger und Politikberater Martin Fuchs widmete sich in seiner Keynote den Social-Media-Aktivitäten von Parteien und Politik. Dabei warf er vor allem einen Blick auf die zurückliegende Bundestagswahl – nicht umsonst nennt er sich Wahlbeobachter. Gelungene und misslungene Postings und Social-Media-Aktionen der Parteien nahm er dabei genauso ins Visier wie Best Practice-Beispiele einzelner Politikerinnen und Politikern. Immer wieder zeige sich, dass kontinuierliches und gründliches Community-Building Schlüssel zum Erfolg im Netz sei. Wer im Internet erfolgreich sein wolle, müsse das Netz, seine Sprache und seine Dynamiken verstehen. So lasse sich der „Cringe-Faktor“ (Fremdscham-Faktor) politischer Social-Media-Auftritte erheblich verringern, versprach Fuchs. Gekünstelte Sprache, Anbiederung oder inhaltsleeres Kommunizieren werde von den „digital natives“, also den digitalen Einheimischen, dagegen als extrem „cringe“ empfunden.
Von ihren Netzerfahrungen berichteten im Anschluss Politikerinnen und Politiker und Medienschaffende. Die Diskussion über die Videos des YouTubers Rezo führte die Diskutierenden zur Frage nach der Implementierung journalistischer Standards für Influencerinnen und Influencer. Dass die Rezo-Videos solchen Standards nicht entsprächen, ist für den ehemaligen Generalsekretär der CDU, Ruprecht Polenz, kein Problem. Der Münsteraner Politiker und Twitter-User findet „Kritik muss immer ernst genommen werden“. Überhaupt seien Themenauswahl und Fokus von Online-Beiträgen nie zu hundert Prozent objektiv, sagte der YouTuber Marvin Neumann. Immer müssten Beiträge aber den Regeln der Fairness entsprechen.
Wo die Fairness ende und wie sie selbst mit Gewalt und Hass im Netz umgehe, berichtete die stellvertretende Bundesvorsitzende der Grünen, Ricarda Lang. Trotz vieler Anfeindungen sei sie noch in einer privilegierten Position. Wer kein Team hinter sich habe, stehe Hass, Drohungen und psychischen Angriffen erst einmal allein gegenüber. Ohne Fairness in der Kommunikation könne jedoch kein Vertrauen aufgebaut werden, betonte Neumann. Authentizität und Sachlichkeit werde von der Netzgemeinde aber honoriert. Die große Bandbreite der Medienangebote und Kanäle zeige, dass es Bedarf nach Informationen gebe. Verschiedene Interessen würden eben von unterschiedlichen Akteuren befriedigt. Alexander Brockmeier, für die FDP Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtags, stellte ebenfalls die Frage nach der Qualität verschiedenster Online-Angebote. Die Rolle der Influencer im Netz seien nichts anderes als klassische Bekenntnisse Prominenter zu einzelnen Parteien.
Verantwortung und Auftrag der Parteien
Für den 75-jährigen Polenz ist es eine Selbstverständlichkeit, im Internet unterwegs zu sein. Wenn Parteien sich für die Menschen interessierten, kämen sie gar nicht daran vorbei, digitale Plattformen zu nutzen und dort auf die Menschen zuzugehen. Zudem bezeichnete Polenz die politische Willensbildung als eine wichtige Aufgabe politischer Parteien: „Diese Willensbildung erfolgt heute ja zu einem beträchtlichen Teil im Netz. Daran mitzuwirken heißt eben, selber solche Angebote zu haben und sich aktiv an Diskussionen zu beteiligen“, gab er zu bedenken. Wer ein politisches Mandat habe, sei aufgefordert sich an Diskussionen zu beteiligen und selbst Diskussionen in der Netzgemeinde anzustoßen. Man sehe auch am Wahlergebnis: Je jünger eine Partei ist, desto besser gelinge das. Aufgrund von Algorithmen und Internet-Plausibilitäten ist es zudem besonders für Parteien an den Rändern leicht, Aufmerksamkeit zu generieren. Ricarda Lang forderte, „Orte um Medienkompetenz zu lernen“. Die Runde plädierte dafür, vor allem auf Vereine und Verbände bei dieser Sensibilisierung zu bauen. Aber auch in Schule und Jugendförderung müssten Chancen und Gefahren der Digitalisierung thematisiert werden, sagte Brockmeier.
Mit einem Ausblick auf den Bundestagswahlkampf 2025 endete die Veranstaltung. Nach zwei Jahren Corona-Pandemie waren sich alle Beteiligten einig: Auch in vier Jahren wird es einen Präsenz-Wahlkampf geben – ein beträchtlicher Teil wird jedoch im Netz stattfinden. YouTuber Neumann dazu: „Wenn wir eins gelernt haben in Pandemiezeiten, dann dass Events wichtig sind.“ Polenz gab zu bedenken: „Die Reichweiten im Netz sind bei Weitem größer.“