
Foto: Landesvertretung NRW | Nadine Zilliges
7. September 2021
Trockeneis-Cocktails und Da-Vinci-Brücke
Nie zu jung, um schlau zu sein: Die Junior Uni Wuppertal präsentiert sich in Berlin
Kinder sind von sich aus Entdecker und Forscher. Man muss sie nur lassen. Nichts anderem widmet sich seit 2008 die Junior Uni in Wuppertal, eine in Deutschland einzigartige Bildungseinrichtung für Kinder und Jugendliche mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaft und Technik. Schirmherren sind der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet und die Oberbürgermeister der drei bergischen Großstädte Remscheid, Solingen und Wuppertal. Die MINT-Fächer, das machten alle teilnehmenden Experten unserer Veranstaltung deutlich, haben aber eine politische und Zukunftsdimension. Ohne Mathematik, Informatik und Naturwissenschaft gibt es keine Modelle zur Beschreibung des Klimawandels, keine Digitalisierung und keine Künstliche Intelligenz. Ohne Ingenieurswissenschaften keine technischen Lösungen für Energieerzeugung, -speicherung und -übertragung, für Smartphones oder Weltraumtechnik.
Bildungsthemen sind also immer auch Zukunftsthemen. Dr. Dominik Fanatico, stellvertretender Leiter der "Botschaft des Westens" begrüßte daher gerne die großen und kleinen Gäste, die in die Landesvertretung gekommen waren, um zu erfahren, wie in Nordrhein-Westfalen und allen voran in der Junior Uni Wuppertal mit den Köpfen und Händen der Jungend unsere Zukunft von morgen gemacht wird. Eine Zukunft, die wir nur gestalten können, wenn wir kluge und kreative Köpfe haben, die sich den Herausforderungen stellen können - gleichsam mit Herz und Grips.
Auf welche Weise der Bund seinen Beitrag leistet, um außerschulische Bildungsangebote zu unterstützen, erläuterte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek in einem Videogrußwort. Kinder, die Fußball spielen wollen, gehen ganz selbstverständlich in den Fußballverein. Wer ein Instrument lernen möchte, besucht natürlich eine Musikschule. Aber wohin geht, wer sich intensiver mit Mathematik, Ingenieurwesen, Naturwissenschaft oder Technik befassen möchte? Mit den Technikfragen der Kinder sind auch die Erwachsenen manchmal überfordert. Der MINT-Bildung kommt für die Gestaltung etwa der digitalen Transformation und des technologischen Wandels eine zentrale Rolle zu. Dazu gilt es, ein vertieftes Verständnis für technische, naturwissenschaftliche, mathematische und Informatik-Zusammenhänge zu entwickeln. Das erleichtert auch die berufliche oder akademische Ausbildung in diesem Bereich und bildet die Grundlage für die Bewältigung großer gesellschaftlicher Herausforderungen. Zugleich ist MINT entscheidend für die künftige wirtschaftliche Leistungs- und Innovationsfähigkeit Deutschlands und Europas. Dies unterstützt der Bund mit der inzwischen zweiten Richtlinie zur Förderung regionaler Cluster für die MINT-Bildung von Jugendlichen mit 32 Millionen Euro. Im Mai 2021 gab Bundesbildungsministerin Anja Karliczek zudem den Startschuss für den Aufbau einer bundesweiten MINT-Vernetzungsstelle. Durch Austausch, Beratung und Praxistipps soll „MINTvernetzt“ dazu beitragen, bessere MINT-Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche zu schaffen. Klar ist: Deutschland braucht gute Bildung. Das Bergische Land, so Bundesministerin Karliczek, ist an dieser Stelle ein wunderbares Vorbild und „lässt junge Menschen leuchten“.
Biologin Dr. Ariane Staab und Physikerin Dr. Annika Spathmann, die zusammen mit Gründer und Träger des Landesverdienstordens Prof. Dr. h. c. Ernst-Andreas Ziegler die Junior Uni leiten, stellten diese in Deutschland außergewöhnliche Bildungseinrichtung einem interessierten Publikum in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung in Berlin vor. Die Junior Uni in Wuppertal ist eine private außerschulische Einrichtung und bildet ein breites interdisziplinäres Themenspektrum ab, wobei die MINT-Disziplinen mit einem Anteil von 70 Prozent einen klaren Schwerpunkt darstellen. Gemeinsam auf Augenhöhe Spaß und Freude erleben, das steht im Vordergrund. Wissenschaft über spannende Fragestellungen mit allen Sinnen zu erfahren, Mathe zum Anfassen, Experimentieren und neugierig sein, das alles bietet die Junior Uni für Kinder und Jugendliche im Alter von 4 bis 20 Jahren – ohne Aufnahmetests, ohne Noten, ohne Prüfungen.
In einem Brennpunktviertel Wuppertals angesiedelt, gelingt es der Uni, junge Menschen quer durch alle Bevölkerungsschichten zu erreichen. Die Junior Uni ist das ganze Jahr geöffnet und hat seit 2008 über 7.000 Kurse mit etwa 80.000 Teilnehmern angeboten. Andrang und Nachfrage sind groß. 46.000 Kinder und Jugendliche befinden sich auf einer Warteliste. Das Angebot richtet sich an Wuppertal und umgebende Städte. Das unter Corona rasch aufgebaute digitale Programm erreicht darüber hinaus junge Menschen im gesamten deutschsprachigen Raum. Die Dozenten für die Kurse kommen aus allen Disziplinen und bringen jeweils ihre eigenen Themen mit, für die sie brennen und sich begeistern. Das steckt an. Die Junior Uni unterhält zudem Angebote für Kitas und Schulen, bietet Nachmittags-AGs aus und schreibt Wettbewerbe aus.
Alle Kurse bietet die Uni kostengünstig und niedrigschwellig an. Zahlreiche private Sponsoren sowie das Land Nordrhein-Westfalen und der Bund machen dies möglich. Die Junior Uni verfügt über ein Jahresbudget von 1,8 Millionen Euro. Zudem hat sie ein Studierendenparlament eingerichtet, das es den Kindern und Jugendlichen ermöglicht, eigene Ideen einzubringen, mitzubestimmen und Vorschläge zu machen. Auch Demokratie-Lernen kann nie früh genug anfangen. Die Junior Uni findet inzwischen auch Nachahmer. So wollen Mülheim an der Ruhr und Essen jeweils eigene Unis für Kinder einrichten. Im rheinland-pfälzischen Daun wurde Ende Juni 2021 der erste Spatenstich für eine weitere Junior Uni auf dem Gelände einer ehemaligen Brotfabrik getan.
Für die Zukunft wünschen sich die Macherinnen der Junior Uni, deren Unabhängigkeit zu erhalten und Projektfördermittel einfacher und unbürokratischer erhalten zu können.
Kirstin Korte MdL, Vorsitzende des Ausschusses für Schule und Bildung des nordrhein-westfälischen Landtags und selbst Grundschullehrerin, brachte die nordrhein-westfälische Perspektive ein. Das Land gibt Kindern und Jugendlichen auch außerhalb der Schule die Möglichkeit zu experimentieren und Wissenschaft zu erleben. Mit Zukunft durch Innovation.NRW (kurz: zdi) verfügt das Land über eine Gemeinschaftsoffensive zur Förderung des naturwissenschaftlich-technischen Nachwuchses in Nordrhein-Westfalen. Das zdi unterhält in der Fläche über 47 zdi-Netzwerke und über 70 zdi-Schülerlabore im ganzen Land. Es hat zum Ziel, mehr junge Menschen für ein MINT-Studium oder eine MINT-Ausbildung zu gewinnen und dadurch den MINT-Nachwuchs auf regionaler Ebene langfristig zu sichern. Außerdem will zdi junge Menschen frühzeitig an gesellschaftlich relevante Themen wie etwa Ressourcenschonung, Klimawandel, Energieversorgung und Armutsbekämpfung heranführen. Schließlich will zdi auch die Talente möglichst vieler junger Menschen fördern und so einen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit und Durchlässigkeit im Bildungssystem leisten. Frühe MINT-Bildung vermittelt das Haus der kleinen Forscher – Deutschlands größte Fortbildungsinitiative für Kita, Hort und Grundschule. Die gemeinnützige Stiftung engagiert sich bundesweit für gute frühe Bildung in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik mit dem Ziel, Mädchen und Jungen stark für die Zukunft zu machen und zu nachhaltigem Handeln zu befähigen. Zugleich gilt es, so Korte, den MINT-Bereich im Schulsektor zu stärken. Informatik als Regelfach in der Schule einzuführen, ist nicht so einfach, wenn de facto dafür die ausgebildeten Lehrer fehlen. Hier gibt es in Zukunft noch viel zu tun und aufzuholen.
Dr. Ekkehard Winter, Geschäftsführer Deutsche Telekom Stiftung und Ko-Sprecher des nationalen MINT-Forums, lobte die reiche außerschulische Bildungslandschaft in Deutschland, die ein große Chance darstelle. Ein wahrer Leuchtturm in der Landschaft sei die Wuppertaler Junior Uni, die weit über NRW hinaus strahlt. Aber: Im internationalen Vergleich steht Deutschland beim Nachwuchs in Naturwissenschaft und Technik nicht gut da. Dabei werden MINT-Fachkräfte dringend und dringender gebraucht, so bei Fragen des Klimawandels wie etwa beim energetischen Bauen. Eine Befragung, so Winter, habe gezeigt: Schüler lernen nicht gerne für die Schule. Damit dreht sich fast alles um Motivation. Digitale Teilhabe unterstützt die Deutsche Telekom Stiftung mit dem Projekt „GestaltBar – die digitale Werkstatt“. Das ist ein Angebot für Schulen, deren Schüler vornehmlich eine Berufsausbildung anstreben. Die Umsetzung erfolgt gemeinsam mit Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit und mit weiteren außerschulischen Partnern. Ziel ist es, ihnen Zugänge zu digitalen Technologien zu ermöglichen und die Gelegenheit zu geben, in einem offenen Lernraum ihre Talente zu entdecken. Auf dem Programm stehen Kurse zu Themen wie Robotik, App-Entwicklung, Coding oder 3D-Druck. Die Schulen integrieren die GestaltBar zudem in ihr Berufsorientierungssystem. Mit der bundesweiten Initiative Ich kann was! unterstützt die Deutsche Telekom Stiftung zudem Projekte und Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Ziel ist es, insbesondere jungen Menschen aus benachteiligtem Umfeld Kompetenzen zu vermitteln, die es ihnen ermöglichen, selbstbestimmt und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und die eigene Zukunft erfolgreich zu gestalten.
Richtig zur Sache gibg es aber im Atrium der Landesvertretung. Dort hatte eine 3. Klasse der Gustav-Falke-Grundschule aus Berlin-Gesundbrunnen auf einem Experimentierparcours die Gelegenheit, Wissenschaft hautnah zu erleben und zu „machen“. Dabei wurden dampfende Stickstoff-Cocktails gemixt, Trockeneis hergestellt, selbsttragende Leonardo-Da-Vinci-Brücken gebaut oder eine Schwebebahn en miniature gleiten gelassen. Auch der Bundestagsabgeordnete Jürgen Hardt legte Hand an und ließ, mit Kittel und Schutzbrille angemessen ausgestattet, Wasserstoffperoxid eine heftige Reaktion entlocken, die sich in einer Schaumfontäne entlud.
Die Landesvertretung dankt allen kleinen und großen Forschern für ihr Kommen und den wunderbaren Tag. Danke auch an die Moderatorin und Autorin Gisela Steinhauer (WDR/DLF Kultur), die uns schwungvoll durch die Veranstaltung führte.