Der politische Diskurs verschärft sich: Wie halten wir die Polarisierungswelle flach?

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Zukunft des Westens 2022-01-19 02
19. Januar 2022

Der politische Diskurs verschärft sich: Wie halten wir die Polarisierungswelle flach?

Online-Diskussion aus der Reihe Zukunft des Westens

Der politische Diskurs verschärft sich: Wie halten wir die Polarisierungswelle flach? Unter diesem Titel diskutierten in unserer Gesprächsreihe „Zukunft des Westens“ der Historiker Andreas Rödde und die Publizistin Elisabeth Niejahr. Durch den Online-Talk führte Spiegelredakteurin Melanie Amann.

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Staatssekretär Dr. Mark Speich begrüßte die zugeschalteten Zuschauer mit der Feststellung: Die Frage, wie wir mit Polarisierung umgehen, sei mehr als nur eine theoretische Herausforderung. Die Mordpläne am sächsischen Ministerpräsidenten, die bei Telegram in einer Gruppe mit 100.00 Followern bekannt wurden, geben Anlass zur Sorge. Sorge, die von der Radikalisierung des Diskurses, des Denkens, zur Planung und zur Tat führen kann. Polarisierung ist kein randständiges Problem. Insgesamt ist eine Verhärtung der politischen Auseinandersetzung festzustellen. Der Zeithistoriker Joachim Fest schrieb 1994: „Inzwischen geht die Vorstellung, was es mit freiheitlichen Zuständen auf sich hat, auf welchen Voraussetzungen sie beruhen und was ihre Bewahrung verlagt, mehr und mehr verloren.“ Bereits damals hörte er „diffuse, aber unüberhörbare Klopfzeichen einer Krise“ der Freiheit, die durch Kräfte am Rande, die sich in die Mitte bewegen, zunehmend unter Druck gerät. Anlass genug für eine ebenso ernshafte wie spannende Diskussion.

Prof. Dr. Andreas Rödder, derzeit in Washington, erinnerte in seinem Eingangsstatement an den 6. Januar 2021: Der sich jüngst jährende Tag, an dem ein rechter Mob vom Trump-Anhängern den US-Kongress stürmte und eine gemeinsame Sitzung der beiden Parlamentskammern für mehrere Stunden unterbrach. Die Stürmung des Capitols markiert eine grundsätzliche Veränderung und Verletzung der liberalen Demokratie in den USA. Der Untersuchungsausschuss hat zuletzt die Dimension der Tat uns das Ausmaß von Gewalt an den Tag gebracht, deren Ambition sich in Richtung Staatsstreich bewegte. Die Bilder von Demonstranten, die es mit der Reichskriegsflagge auf die Stufen des Deutschen Bundestages schafften, zeigen eine beunruhigende ikonographische Ähnlichkeit zu Washington.

Rödder spannte in seiner Betrachtung den Bogen von der stillen Revolution im Sinne von Ronald Inglehart über eine silent counter revolution, die sich dem sozio-kulturellen Wandel, dem postmodernen Dekonstruktivismus und der Emanzipations- und Menschenrechtsbewegung entgegenstellt, bis hin zum Kosmopolitismus der „Anywheres“, die keine Heimat und Nation merh haben im gegensatz zu den „Somewheres“, die sich sehr wohl in lokalen Kontexten verorten. Insbesondere eine jede politische Position stark moralisierende Identätspolitik und die sie provozierende Gegenbewegung kennzeichnen die politische Polarisierung.

Dazwischen drohen eine linke Mitte und eine recht Mitte zwischen diesem Druck sprachlos zu werden. Sie Spaltung wird dann manifest, wenn die liberale Mitte nicht mehr sprachfähig ist. Dann hat es die liberale Demokratie schwer. Die schweigende Mitte trägte ihren Teil zur Polarisierung des Diskuses bei.
Rödder sieht in der politischen Entwicklung phänomenologische Ähnlichkeiten zwischen Ostdeutschland und Ungarn und Polen. Es sei daher sinnvoll und richtig zu verstehen, was in den „neuen“ Länder aus der gemeinsamen Geschichte des Sozialismus und sowjetischen Kommunismus zu erklären sei. Der abwertende Gestus „Dunkeldeutschland“ sei nicht dazu angetan, die Bereitschaft zum Diskurs zu fördern. Wichtig sei, einander mit Offenheit und Bereitschaft zum Diskurs verstehend zu begegnen.

Rödder erkennt noch weitere Phänomene, die die Polarisierung begünstigen: Zum einen merken wir den moralisierenden Druck, zum anderen umgibt uns eine permanente Unruhe durch Smartphones und elektronische Medien, und wir kommen viel weniger dazu, lange Texte konzentriert am Stück zu lesen. Am Ende kommt es mehr auf echte Toleranz an. Toleranz ist immer eine Zumutung, sie ist die Bereitachaft zur Toleranz für die Meinung des anderen, der man nicht pauschal ihre Berechtigung abspricht. Das ist das wichtigste Element für Demokrarierziehung.

Elisabeth Niejahr, Publizistin und Geschäftsführerin bei der gemeinnützigen Hertie-Stiftung, sieht das in Nuancen anders. Es gebe in Deutschland starke Kräfte, die sich dem Niedergang der liberalen Demokratie entgegenstellen. Besonderes Augenmerk legte ie auf die Wirkungen sozialer Netzwerke. Social-Media-Filterblasen, Echokammer, Gleichgesinnte spiegeln ihre Meinungen in ihrer In-Group. Die Möglichkeit des offenen Diskurses mit anderen schwindet dabei. Die Frage für Niejahr ist: Wie wie gehen wir in Diskussionen damit um, immer stärker auf Menschen zu treffen, die in Gut und Böse einteilen. Antiaufklärereisch sei auch die Maxime, „ich kann eine sache besser beurteilen, weil ich perönlich betroffen bin“. Dann wird es schwer eine Grenze zu finden. Das gilt auch und besonders für Journalisten. Kann nur jemand authentisch über Rassismus sprechen, der Rassismus erfahren hat, fragt Niejahr. Problematisch sei auch, wenn der Bundeskanzler eine Spaltung einfach negiert. Dies treffe nämlich auf einen Vertrauensverlust in die Meritokratie. Das Aufstiegsversprechen und Durchlässigkeitsversprechen sei seit der Clinton- und Schröderzeit einer Desillusionierung gewichen. Das Vertrauen in ein selbstheilendes gerechtes System einer liberal-demokratischen Ordnung ist in breiten Teilen erschüttert.

Derzeit zeigt sich eine klar steigende Tendenz illiberaler Demokratien auf der Welt. Niejahrs Credo: Demokratie kann man üben. Positive Demokratieerfahrungen sind wichtig. Es gilt, früh zu lernen, dass es Spaß bringen kann, fair zu streiten. Diese Diskurskultur ist bestenfalls Teil der Persönlichkeitsentwicklung. Es zeigt sich in Projekten, wenn Jugendliche Kommunalpolitik, steigt das vertrauen in die Kaste der Berufspolitiker. Anders als die Wirtschaft tut sich Politik, so Niejahr, schwer mit Fehlerkultur und damit, ein lernendes System zu sein. Scheitern ist in der Wirtschaft Usus und ein Stück weit akzeptiert. Politiker, die über ihre Fehler sprechen, könnten damit Punkte sammeln und Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.

Für Niejahr hat Deutschland Nachholbedarf bei der politischen Bildung. Die jüngere Generation zeige deutlich weniger Vertrauen in Staat und Demokratie als die ältere. Teilweise gerät die Demokratie in Misskredit, weil sie vorgeblich zu langsam sei und mit Kompromissen nur vermeintlich schlechte Ergebnisse produziere, etwa beim Kampf gegen den Klimawandel. Kurz. Demokratie muss liefern und effizienter werden. Behördenreformen, eine gute und schnellere Rechtsetzung sowie ein verkleinertes Parlament können dafür erste Schritte sein. Demokratie hat Zukunft, wenn sie funtioniert.

Durch die Diskussion führte Dr. Melanie Amann, Mitglied der Chefredaktion des SPIEGEL.
 

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