Kultur on demand

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Kultur on demand | digitial talk
18. August 2020

Kultur on demand

18. August 2020 | Chancen und Grenzen für Kunst auf digitalen Verbreitungskanälen

Welche Zukunft hat Kultur in der neuen, verantwortungsvollen Normalität und wie kann der Staat helfen, die Pandemiezeit möglichst zu überstehen und bestenfalls gestärkt aus ihr hervorzugehen? Welche neuen Formate bieten langfristig Chancen? An welchen neuen Formaten arbeiten gerade Künstler in Nordrhein-Westfalen und welche Ideen entstehen in Musikhäusern, Opern, Theatern, Bibliotheken und Museen? Diese und andere Fragen diskutierten in unserer Gesprächsreihe „Digital.Talk NRW – Zurück in die Zukunft“ Staatssekretärin Annette Storsberg vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Michael Eickhoff, Dramaturg am Theater Dortmund und Prof. Dr. Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen.

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Die Kulturszene leidet wie kaum ein anderer Bereich unter den Kontaktbeschränkungen, die wegen der Corona-Pandemie erlassen wurden. Dabei ist Kultur, darauf wies der stellvertretende Leiter der Landesvertretung Dominik Fanatico in seiner Begrüßung hin, der Kit, der unsere Gemeinschaft definiert und zusammenhält. Oder wie Kulturstaatsministerin Monika Grütters kürzlich formulierte: Kultur ist ein Lebensmittel, das zum Leben dazugehört. Während viele Bereiche der Gesellschaft zu einem verantwortungsvollen regelbetrieb zurückkehren können, ist die Situation in der Kultur nach wie vor schwierig. Kulturschaffende stehen oft komplett ohne Einnahmen da. Sie leiden darunter, dass ihr Metier davon lebt, dass Menschen zusammenkommen und sich austauschen. Gleichzeitig sind aber auch neue digitale Formate und Foren entstanden, die dem Kulturlockdown kreativ trotzen. Das Kulturerlebnis ist oft ein anderes, aber auch vielfach ein neues.
 

Auch das nordrhein-westfälische Ministerium für Kultur und Wissenschaft hat sich das Jahr 2020 ganz anders vorgestellt. Das räumte Staatssekretärin Annette Storsberg unumwunden ein. Ein reiches und reichhaltiges Programm wurde abrupt gestoppt. Man denke etwa an die Ruhrtriennale oder das Beethovenjahr 2020. Und mit 250 Millionen Euro steht zugleich der höchste Kulturetat in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen zur Verfügung. Es blieb keine Wahl: die Kultur musste online gehen und sich rasch digitalisieren. Ein Vorteil: Der Zugang wird zugleich niedrigschwelliger und vielleicht auch ein wenig demokratischer. Denn Digitalität erhöht auch die Teilhabemöglichkeit der Menschen.

Für das Land, so die Staatssekretärin, war es indes zunächst wichtig, in der Zeit herber existenzieller Rückschläge vieler Künstler schnell und wirksam zu helfen und das kulturelle Leben wieder zu ermöglichen. Rasch verabschiedete das Land ein Soforthilfeprogramm mit 5 Millionen Euro Überbrückungshilfe, das in Windeseile aufgezehrt war. Im Mai konnte mit Zustimmung des Finanzministeriums das Soforthilfeprogramm um weitere 26 Millionen Euro aufgestockt werden. Ferner hat das Land zugesagte Honorare auch bei abgesagten Veranstaltungen weitergezahlt und darüber hinaus auch bei abgesagten Projekten Fördermittel in Höhe von 120 Millionen Euro ausgegeben.

Ab Mai galt es, den Blick mehr nach vorne zu richten und über einen Stufenplan zur Wiedereröffnung des Kulturlebens nachzudenken. Dabei war festzustellen, dass das Kulturleben zwischendurch anders geworden war. Parallel zu ausgefallenen Events haben sehr spannende Experimente gestartet, allesamt angetreten um die Bindung zum Publikum nicht zu verlieren. Dabei sind sehr viele verschiedene Formate entstanden: Konzerte in Autokinos, Lesungen aus Smartphone-Videoschnipseln in beeindruckender Qualität, virtuelles Theater uvm. Den Kunstschaffenden gebührt großer Dank, dass dies möglich wurde.
Für die Zukunft stellen sich, so Staatssekretärin Storsberg, vor allem zwei Fragen: 1. Funktioniert Kultur im Netz nur, wenn sie kostenlos ist? 2. Wie kann man in der digitalen Kultur, die von den Menschen gewünschte persönliche Nähe jenseits von Chat und Kommentarfunktion in den Sozialen Medien schaffen?

Neben der weiteren verantwortungsbewussten Wiedereröffnung durch den sukzessiven Abbau von Einschränkungen geht es darum, Künstler für ihre Tätigkeit auch tatsächlich zu entlohnen. Deshalb hat sich Nordrhein-Westfalen entschieden, ein großes Stipendienprogramm „Auf geht’s!“ mit 15.000 Stipendien aufzulegen, das mit bis zu 7.000 Euro je Stipendium ausgestattet ist. Der Zugang ist bewusst niedrigschwellen gehalten. Es kann jeder erhalten, der ein künstlerisches Vorhaben umsetzen möchte und für den dies die Lebensgrundlage ist. Das Programm wird selbstverständlich digital in Zusammenarbeit mit den Bezirksregierungen umgesetzt. Daneben gibt es einen Kulturstärkungsfonds, 80 Millionen Euro stark, der dafür sorgen soll, dass das kulturelle Leben in Nordrhein-Westfalen weitergeht. Er richtet sich an finanziell gebeutelte öffentlich geförderte Einrichtungen wie Theater, Museen, Festivals, sozialkulturelle Zentren oder gemeinnützige Vereine.

Für das Theater Dortmund beschrieb Dramaturg Michael Eickhoff die Entwicklung der letzten Monate. Corona kam überraschend, hat aber vieles beschleunigt, was sich vorher schon ankündigte: Namentlich Digitalität und Digitalisierung. Für den Theatermacher war schon seit einiger Zeit klar: Wir müssen uns mit dieser Transformation auseinandersetzen. Deswegen hat das Theater Dortmund mit der Akademie „Theater und Digitalität“ bereits 2019 eine sechste Kunstsparte im Haus gegründet, gefördert von Bund, Land, Stadt und der EU. Dabei steht ein Bündel aktueller Fragen im Raum: Wie reagiert das Theater auf diese Veränderungen? Mit welchen Erzählweisen, Versuchsanordnungen und technologischen Erfindungen? Welches Know-How brauchen Theaterschaffende jetzt? Und welches in der Zukunft? Welche Werkzeuge können und müssen die Theater selbst entwickeln? Für welche Berufsfelder der Darstellenden Kunst müssen wir als technikaffine Kunstschaffende neue Möglichkeiten der Weiterbildung anbieten? Welche neuen Möglichkeiten der Narration ziehen in das Theater ein, katalysiert durch neue Technologien? Welche gesellschaftlichen Debatten können in den Theatern durch die Anwendung digitaler Technologien aufgegriffen oder sogar angestoßen werden? Was sind die Themen der Digitalen Moderne? Wie lässt sich Technologie – als Mittel der Herstellung und Gegenstand der Betrachtung – in einem künstlerischen Möglichkeitsraum sinnlich erfahren und diskutieren? Die Akademie kennt deshalb drei große Bereiche: Die Ausbildung in den digitalen Berufen in der Kunst; die Fort- und Weiterbildung für die gesamte Theaterlandschaft und die Forschung als Schnittmenge zwischen Kunst und Wissenschaft. Eickhoffs Fazit: Digitalisierung geht nicht mehr weg, wir müssen lernen damit umzugehen. Aber auch der Mensch verschwindet nicht, er bleibt als Schauspieler, Experte, Zuschauer.

Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf wurde 1961 von der Landesregierung als privatrechtliche Stiftung ins Leben gerufen. Ihr Zweck ist die öffentliche Sammlung und Ausstellung des Kunstbesitzes. Ihre Direktorin, Susanne Gaensheimer, berichtete, wie Corona die Digitalisierung des Museums beschleunigt hat. Digitalisierung meint dabei zum einen die interne und externe Kommunikation und die Frage, wie Inhalte digital vermittelt werden können. Zum anderen ist das Digitale auch Gegenstand der Kunst und der künstlerischen Reflexion selber. Die Kunstsammlung hat im letzten Jahr eine große Förderung des Landes aus dem Topf Museum Digital erhalten und damit breit angelegte digitale Maßnahmen unternommen. Von 0 auf 100 wurden sehr viele digitale Formate entwickelt, die es ermöglichen, auch im Lockdown Inhalte des Museums zu vermitteln. Das umfasst digitale Führungen durch bereits vorhandene Ausstellungen, z.B. Picasso, aber auch digitales Storytelling, Inhalte über Künstler, historische Rückblicke oder Podcasts zu Projekten. Mit dem Schauspielhaus Düsseldorf gab es eine Kooperation: Junge Schauspieler wurden eingeladen, die Werke in den Sammlungen zu interpretieren. Daraus sind gleichsam eigene Kunstwerke entstanden, die dauerhaft auf der Webseite zu sehen sind. Als die Schulen geschlossen waren, bot die Kunstsammlung Formate für Kinder und Jugendliche an, etwa Mitmachformate über die Webseite YouTube, die sehr gut angenommen wurden und den Bedarf zeigen. Für die Zukunft steht aus: die gesamte Sammlung online abzudecken, neue Wege zur Sammlungserschließung zu eröffnen und viel mehr Informationen über die Geschichte, über Künstler und die Exponate bereitzustellen. Digitales Ticketing und eine digitale Besucherführung sind in Vorbereitung. Die Frage ist: Welche Rolle spielt das Digitale in unserem Leben und deshalb auch in der Kunst. Es zeigt sich: Es ist nur allein ein Kommunikationstool, das jetzt hilfreich war, sondern ist Teil unserer gesamten Wahrnehmung- und Erfahrungswelt, ist nicht nur Technik, sondern auch wirft auch die Frage auf, wie verändern wir uns durch das Digitale. Künstler, die sich damit beschäftigen, werden künftig mehr im Programm zu sehen sein. Fest steht: die Wahrnehmungsmodi und -formen werden sich auf jeden Fall verändern, insbesondere bei Menschen, die digital aufwachsen. Gleichzeitig ersetzt das Digitale nicht die originale authentische Begegnung mit dem Kunstwerk, gerade bei Aufführungen bleibt die Liveerfahrung auch in Zukunft wichtig.

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