Institut Arbeit und Qualifikation, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, Universität Duisburg-Essen
Prof. Dr. Gerhard Bosch beschrieb einleitend die Dimensionen der Jugendarbeitslosigkeit. In allen EU-Mitgliedstaaten außer in Deutschland und Luxemburg habe es von 2008 bis 2013 einen teilweise gravierenden Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit gegeben. In Ungarn, Zypern, Spanien und Griechenland sei sie jeweils um über 25 Prozentpunkte angewachsen. In seinem Vortrag gehe es erstens um die langfristigen Auswirkungen der Jugendarbeitslosigkeit und zweitens um den Übergang aus dem Bildungssystem in den Arbeitsmarkt in verschiedenen Ausbildungssystemen. Drittens analysiere er, ob die hohe Jugendarbeitslosigkeit ein strukturelles Problem oder ein Problem der fehlenden Nachfrage sei. Abschließend wolle er die „Jugendgarantie“ als Gegenmaßnahme der EU bewerten.
Langzeitfolgen durch Jugendarbeitslosigkeit
Bosch betonte, wie belastend die aus der Jugendarbeitslosigkeit resultierenden Langzeitfolgen seien. Längerfristige Auswirkungen seien in der Studie von Bell und Blanchflower (Bell, David N.F. / Blanchflower, David G. (2009): What Should Be Done about Rising Unemployment in the UK?. IZA Discussion Papers 4040. Bonn: Institute for the Study of Labor (IZA). Online unter: https://.repec.org/p/iza/izadps/dp4040.html (Stand: 25.11.2014).) aus dem Jahr 2009 festgestellt worden, die Daten aus der britischen Geburtskohorte von 1958 ausgewertet hätten. Durch Jugendarbeitslosigkeit steige demnach 25 Jahre später die Wahrscheinlichkeit weiterer Arbeitslosigkeit, Löhne und Arbeitszufriedenheit seien bei den Befragten im Schnitt niedriger und die Gesundheit sei schlechter. Diese Effekte könnten jedoch nicht bei Befragten festgestellt werden, die um die 30 Jahre alt seien.
Arbeitslosigkeit habe zudem einen großen Einfluss auf die Wertvorstellungen von Jugendlichen. Eine Auswertung von Giuliano und Spilimbergo (Guiliano, Paola / Spilimbergo, Antonio (2009): Growing up in a Recession: Beliefs and the Macroeconomy. NBER Working Paper Series 15321. Cambridge, MA: National Bureau of Economic Research. Online unter: www.nber.org/papers/w15321.pdf?new_window=1 (Stand: 25.11.2014).) mit Daten aus dem amerikanischen Social Survey habe gezeigt, dass Jugendliche, die in Zeiten von Rezessionen aufwüchsen, davon ausgingen, dass der Erfolg im Leben mehr vom Glück als von der eigenen Leistung abhänge. Sie unterstützten mehr Umverteilung durch die Regierung, hätten jedoch gleichzeitig ein geringes Vertrauen in staatliche Institutionen. Diese Ergebnisse könnten auch in einigen europäischen Ländern beobachtet werden, so Bosch.
Begründet seien diese Befunde nach seiner Ansicht vor allem in der Außenseiterposition der Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt, die ihr Risiko erhöhe, von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein. Auch sei die Persönlichkeit der jungen Arbeitnehmer noch in der Entwicklungsphase und fragiler als bei älteren Menschen. Dementsprechend seien die Auswirkungen von Misserfolgen größer. Darüber hinaus gelinge der Zugang zu guten Arbeitsplätzen und Karrieren nur noch mit „sauberen“ Lebensläufen: Gute Schulnoten zählten und Misserfolge im Lebenslauf würden nur selten geduldet. Zudem gebe es kaum eine zweite Chance auf dem Arbeitsmarkt und in den Ausbildungssystemen. Das jeweilige Gewicht der aufgezählten Gründe variiere allerdings zwischen den europäischen Ländern.
Übergang vom Schulsystem auf den Arbeitsmarkt in unterschiedlichen Bildungssystemen der EU-Staaten
Bosch thematisierte anschließend den wichtigen Übergang von der Schule in den Arbeitsmarkt. Trotz unterschiedlicher Bildungssysteme beschleunige sich in allen Ländern mit dualer Ausbildung der Übergang in den Beruf und stabilisiere sich die Beschäftigung über die danach folgenden Jahre. In Ländern mit einem hohen Anteil schulischer Berufsausbildung oder einem Schwerpunkt auf allgemeiner Bildung seien dagegen die Übergänge wesentlich schwieriger. Das hänge damit zusammen, dass ein schon beschäftigter Lehrling eine geringere Außenseiterposition auf dem Arbeitsmarkt habe, als ein Jugendlicher, der direkt aus der Schule auf den Arbeitsmarkt übergehe. Im ersteren Fall würden Auszubildende „Insider“ auf dem Arbeitsmarkt. Für die Gewerkschaften und Betriebsräte würden Lehrlinge zudem als Teil der Belegschaften gelten, deren Arbeitsmarktinteressen sie verteidigten. Hinzu komme, dass Unternehmen es als soziale Verpflichtung ansähen, Auszubildende hinterher auch in feste Beschäftigung zu übernehmen. Die politische Unterstützung für das duale System z.B. in Deutschland trage mit dazu bei, dass das Ausbildungssystem bei Unternehmen und jungen Leuten ein hohes Ansehen genieße. Eine moderne Berufsausbildung werde hier nicht als zweite Chance für schlechte Schüler angesehen.
In vielen Staaten herrsche jedoch die Ansicht vor, dass Ausbildungsberufe nur von den Jugendlichen wahrgenommen würden, die für eine universitäre Laufbahn ungeeignet seien. Bosch hielt diese Auffassung und die damit einhergehende steigende Akademisierung für eine Gefahr.
Gründe für die Jugendarbeitslosigkeit
Als nächstes widmete sich Bosch den Gründen für die Jugendarbeitslosigkeit. Dabei identifizierte er die konjunkturelle Lage als den größten Faktor für die Entstehung von Jugendarbeitslosigkeit. Zentrales Problem sei das mangelnde Wirtschaftswachstum und die damit einhergehende gesunkene Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. In vielen europäischen Ländern zeige sich eine starke Korrelation zwischen dem Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit und der Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes. Eine Ausnahme sei Schweden, das trotz einer guten Wachstumssituation eine Zunahme bei der Jugendarbeitslosigkeit verzeichne. Die Krisensituation in Europa identifizierte er als wichtigste Ursache für die zu geringe Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt (Abbildung 1).
Mögliche Qualifikationsmängel der Jugendlichen als Ursache der Jugendarbeitslosigkeit gebe es nicht. Die jüngeren Kohorten seien sogar deutlich besser ausgebildet als die entsprechende Elterngeneration (Abbildung 2). Fachspezifische Qualifikationsengpässe trügen nur in geringem Umfang zur Jugendarbeitslosigkeit bei.
Auch ein etwaiger Babyboom, der zu besonders großen Kohorten mit entsprechend hoher Arbeitslosigkeit führe, sei in Europa nicht erkennbar. So etwas spiele eher in Nord-Afrika eine Rolle. In Europa mindere die demographische Entwicklung eher das Problem der Jugendarbeitslosigkeit, als dass sie zu einer Verschärfung führe.
Wie bereits erwähnt, gebe es allerdings in vielen Staaten auch strukturelle Probleme. Denn Systeme mit einem hohen Anteil schulischer Berufsausbildung oder einem Schwerpunkt auf allgemeiner Bildung entließen junge Beschäftigte als Außenseiter auf den Arbeitsmarkt. Die Ausbildungssysteme ließen sich dabei in fünf Kategorien einteilen, die jeweils mit anderen strukturellen Problemen beim Übergang der Schüler auf den Arbeitsmarkt zu kämpfen hätten. In Österreich, Deutschland und Dänemark seien starke Lehrlingssysteme mit guten Übergangsquoten etabliert. Der Übergang aus den schulischen Systemen in den Niederlanden oder Frankreich verlaufe schwieriger. Noch prekärer sei der Übergang in nicht-standardisierten Systemen, die vom Markt bestimmt würden, wie in Großbritannien oder Irland. Die Krisenländer Griechenland, Spanien sowie Polen und Ungarn hätten statt auf eine berufliche Ausbildung sehr stark auf eine allgemeine Bildung gesetzt, auch weil es an der entsprechenden Infrastruktur fehle, ein berufliches Ausbildungssystem umzusetzen. Auch weitere schulische Systeme, wie in Schweden oder Finnland, zeigte Probleme beim Übergang von jungen Arbeitnehmern. Dort seien die ursprünglich vorhandenen Lehrlingssysteme leider zugunsten eines schulischen Systems abgeschafft worden. Zusammenfassend habe die hohe Jugendarbeitslosigkeit also strukturelle und konjunkturelle Ursachen, die mit unterschiedlichen Maßnahmen gelöst werden müssten.
Jugendgarantie
Bosch diskutierte abschließend die Jugendgarantie, ein Instrument der EU zur Förderung der Jugendbeschäftigung. Nach einem Beschluss des EU-Ministerrates vom April 2013 solle allen jungen Menschen unter 25 Jahren innerhalb von vier Monaten nach dem Verlassen der Schule oder einem Arbeitsplatzverlust eine hochwertige Arbeitsstelle bzw. weiterführende Ausbildung oder ein hochwertiger Praktikums- bzw. Ausbildungsplatz angeboten werden (Rat der Europäischen Union (22.4.2013): Empfehlung des Rates zur Einführung einer Jugendgarantie (2013/C 120/01).). Bei der Jugendgarantie handele es sich um eine Empfehlung bzw. Selbstverpflichtung ohne verbindlichen Charakter. Es liege weiterhin in der Verantwortung der Mitgliedstaaten, Strukturreformen z.B. bei den öffentlichen Arbeitsverwaltungen oder der beruflichen Aus- und Weiterbildung anzugehen, um Jugendlichen konkrete Angebote zu unterbreiten. Zusätzlich sei die Jugendbeschäftigungsinitiative mit insgesamt 6 Milliarden Euro Finanzierungsvolumen vom Europäischen Rat verabschiedet worden.
Die Jugendbeschäftigungsinitiative fördere 15- bis 24jährige. Die Gelder sollen dabei vor allem Jugendlichen zugutekommen, die sich weder in Ausbildung, noch in Beschäftigung befinden (sogenannte NEETs – NEET bedeutet „not in education, employment or training“). In Anspruch nehmen könnten diese Mittel diejenigen Regionen, die eine Jugendarbeitslosenquote von mehr als 25 Prozent aufwiesen bzw. einen Anstieg von mehr als 30 Prozentpunkten zu verzeichnen hätten. Die Jugendbeschäftigungsinitiative habe das Ziel, einzelne Personen und nicht Systeme oder Strukturen zu fördern. Dabei sei ein breites Spektrum von Instrumenten möglich, das Präventionsmaßnahmen in der Schule genauso umfasse wie Lohnsubventionen und Maßnahmen zur Mobilitätssteigerung oder gegen temporäre Beschäftigung. Zudem sollten Trainingsmaßnahmen und dabei insbesondere Ausbildungen gefördert werden. Jeder EU-Staat habe einen eigenen Implementationsplan zu verfassen gehabt und müsse die Jugendgarantie mit nationalen Mitteln unterstützen.
Anschließend ging Bosch näher auf die Förderregionen ein. Die dunkelblau gefärbten Regionen seien förderungswürdig (Abbildung 3). Es zeige sich, dass auch in Ländern wie Schweden Regionen gefördert werden, die eine sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit hätten. Nahezu alle Regionen der südlichen Krisenländer Spanien, Portugal, Griechenland und Italien seien förderungswürdig.
Der Implementationsplan Deutschlands sei sehr selbstbewusst formuliert und gehe davon aus, dass die Jugendgarantie in Deutschland schon weitestgehend implementiert sei. Deutschland setze sich zum Ziel, in allen Regionen sogenannte ‚One stop centres‘ einzusetzen, also eine einzige Anlaufstelle für Arbeitslose anstelle der bisher üblichen drei Anlaufstellen für Langzeitarbeitslose, für Kurzzeitarbeitslose und für Jugendliche. Des Weiteren strebe Deutschland eine flächendeckende Kooperation zwischen Schulen und Arbeitsberatungen an. Im Ausbildungspakt sei die Schaffung von 60.000 neuen Ausbildungsstellen beschlossen worden.
Die Jugendbeschäftigungsinitiative verfolge viele gute Absichten. Doch nur 0,2 Prozent (15,32 Millionen Euro, Süddeutsche Zeitung vom 09.10.2014) des verfügbaren Budgets seien von den Regionen abgerufen worden. Dies sei ein großer Misserfolg. Zudem gebe es Haushaltskürzungen für Arbeitsmarktmaßnahmen in den Mitgliedstaaten. Die konjunkturellen Probleme, wie etwa die fehlende Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt behinderten die Ausarbeitung von individuellen Integrationsplänen, wenn es keine Berufsperspektiven gebe. Partnerschaften mit lokalen Unternehmen, Sozialpartnern oder Arbeitgeberverbänden seien grundsätzlich richtig, bräuchten aber Zeit. Reformen von Institutionen dauerten Jahre. Der Export von funktionierenden Ausbildungssystemen aus anderen Ländern in die Krisenregionen sei nur schwer umsetzbar. Dementsprechend müssten die Krisenländer ihre eigenen Reformen entwickeln, um kurzfristige Erfolge erzielen zu können. Angebotsorientierte Maßnahmen, wie beispielsweise Lohnsubventionen funktionierten in der Krise nicht und müssten durch nachfrageseitige Maßnahmen unterstützt werden.
Die Jugendgarantie und die Jugendbeschäftigungsinitiative eignen sich nach Ansicht von Bosch gut, um in Ländern mit wirtschaftlichem Wachstum und vorhandenen Infrastrukturen kurzfristige Lösungen zu erreichen. In Ländern mit schwachem oder sogar negativem Wachstum ohne institutionelle Infrastruktur könne die Jugendgarantie keine Erfolge bringen. Vor allem benötige die Reform der Ausbildungssysteme einen größeren Zeithorizont, da es sich um ein komplexes und langfristiges Projekt handle. Bosch empfahl, das geplante Investitionsprogramm der EU zu nutzen, um eine Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit in den nächsten Jahren zu erreichen. Abschließend warnte er vor der Gefahr, dass vollmundige Versprechen der Europäischen Union, die unerfüllbar seien, das Vertrauen der Menschen in die europäischen Institutionen weiter sinken lassen könne.
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